Projektleiter W. Pohl • Bearbeiter Nils Tilch (siehe http://bello.geowiss.nat.tu-bs.de/IUGallgemein/lehre/dissertationen/)
Im südniedersächsischen Bergland gibt es zwar viele instabile Hänge, doch sind diese bei ortsferner Lage selten eine direkte Gefahr für den Menschen. Immerhin sind vielerorts erhebliche Schäden an Wäldern und an Infrastruktureinrichtungen entstanden. Detaillierte Kenntnisse liegen nur ganz vereinzelt vor, vertiefte wissenschaftliche Untersuchungen fehlen. Die Praxis der Landnutzungsplanung benötigt Rutschungssuszeptibilitätskarten, wofür eine deutliche Verbesserung des Kenntnisstandes über lokale und regionale rutschungsverursachende und -steuernde Faktoren notwendig ist. Mit diesem Ziel wurden neben anderen Methoden im Bereich einer aktiven Rutschung erstmals zeitlich hochauflösende Porenwasserdruckmessungen eingesetzt, um den Zusammenhang zwischen Niederschlägen und der Einwirkung des Wassers erforschen zu können. Das Projekt wurde 1996-98 vom Land Niedersachsen (MWK) gefördert.
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Abb. 1: Geologische Übersichtskarte der rutschungsanfälligen Malmkalk-Schichtstufe der nordöstlichen Hilsmuldenflanke zwischen Salzhemmendorf und Brunkensen. Figure 1. Geological sketch map of the project area in southern Lower Saxony, an escarpment formed by Upper Jurassic (Oxfordian) limestones with rock slumps and debris and earth flows along its northeasterly slope. Double frame delimits area of detailed investigations. |
Als Untersuchungsgebiet wurde die Malmkalk-Schichtstufe der östlichen
Hilsmuldenflanke (Leinebergland) gewählt. Hier gibt es zahlreiche muschelförmige
Hanganbrüche mit talwärtig anschließenden Schutt- und Erdströmen (Abb. 1).
Die zuletzt 1988 aktivierte und bis heute aktive Rutschung am Kikedal bei
Brunkensen eignete sich für den Einbau der Meßinstrumente. Unterschiedliche
Rutschungs-Suszeptibilitäten entlang der Schichtstufe äußern sich in
variabler Dichte, Art und Alter von Massenverlagerungen. Hauptursache dieser
Unterschiede sind variable natürliche Voraussetzungen. Vor allem gekennzeichnet
sind instabile Hangbereiche durch geringe bergwärtige Schichteinfallswinkel
(<14°); durch höhere Hangneigung im Ausstrichbereich der Aquiferbasis, also
des Quellhorizontes (>20°); durch episodische, progressive Hangdeformationen
und durch eine größere Dichte von Hangquellen.
Die Rutschung am Kikedal (Abb. 2) geht von einem Ausbruch im Malmkalk aus,
hangabwärts folgen Schuttwälle und Schutt- und Erdströme unterschiedlichen
Alters. Bohrungen, geoelektrische Sondierungen und Bodensondierungen belegen, daß
die Schuttsohlen einzelner, episodisch entstandener Stromkörper hydraulisch
durchlässig und meist wasserführend sind. Strukturelle und lithologische
Befunde dokumentieren, daß neben reinem Fließen auch kriechende und gleitende
Bewegungen stattgefunden haben. Die zerscherten Mergel der Gleitzonen weisen
deutlich geringere Fließgrenzen auf als vergleichbares Material der
Rutschungsmassen. Demnach ist durch Wasserzutritt und Aufweichen eine Reduktion
der Scherfestigkeit und damit erneute Gleitbewegung möglich. Diese
Beobachtungen erklären, warum vor allem alte Rutschgebiete immer wieder
reaktiviert werden, weshalb sie als besonders rutschungsanfällige Bereiche zu
bewerten sind.
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Abb. 2: Geologische Karte des instabilen Südost-Hanges vom Kikedal,
mit Teilbereichen der Rutschung unter Berücksichtigung des Alters. |
Als Beitrag zur Quantifizierung der auslösenden und bewegungssteuernden Faktoren wurden Poren-(bzw. Kluft-) Wasserdrucke und Niederschläge gemessen, ergänzt durch GPS-gestützte geodätische Bewegungsmessungen. Das aktive Kriechen des 1988 entstandenen jungen Schutt- und Erdstromes kann mit den gemessenen in situ-Porenwasserdrucken durch Stabilitätsberechnungen plausibel modelliert werden. An der Basis alter Erdstrommassen konnten während einer frosttrockenen Witterungsphase deutliche Porenwasserdruckanstiege festgestellt werden, erklärbar durch Frostverschluß einer Quelle im Abstrombereich des Grundwassers (Abb. 3). Vergleichbares ist auch im Sommer möglich, wenn durch starke, gewittrige Niederschläge große hydraulische Gradienten entstehen. Dann können die Fließpfade an Verengungsstellen durch Suffosionsprozesse verschlossen werden. Nach Stabilitätsberechnungen würde ein relativ geringer Porenwasserdruckanstieg ausreichen, um die alten Erdstrommassen an der Basisgleitfläche zu mobilisieren.
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Abb. 3: Porenwasserdruckganglinie an der Basis der alten
Erdstrommassen im Vergleich mit den Witterungsverhältnissen
(Niederschagsverteilung und relative Frostverhältnisse) im Zeitraum vom
16.12.96 bis 01.04.97. |
Der heute noch aktive junge Schutt- und Erdstrom am Kikedal wurde am
27.03.1988 durch einen Abriß innerhalb älterer Rutschmassen initiiert. Die
Analyse der Kovariation von Porenwasserdruck und Niederschlägen im Meßzeitraum
ermöglicht eine Extrapolation auf andere Niederschlagsvarianten, so daß der
Porenwasserdruck in der Gleitfläche für den Tag der Rutschung mit 0,51 bis
0,56 bar näherungsweise bestimmt werden konnte. Die Messungen haben gezeigt, daß
bereits kurze, wenige Stunden andauernde niederschlagsfreie Pausen innerhalb
einer Regenphase zu einer Porenwasserdruckstagnation oder sogar zu einem Abfall
führen. Dies belegt geringe Retentioneigenschaften sowohl des
Festgesteinsaquifers wie auch des Regolithes des Schichtstufenhanges. Deshalb
ist das Kriterium überdurchschnittlicher Niederschläge, z.B. monatliche
Niederschlagssummen über dem langjährigen Mittel, für einen kräftigen
Porenwasserdruckanstieg am Schichtstufenhang des Kikedals für sich alleine
nicht ausreichend. Effektiv sind nur jene Witterungsphasen, aus welchen eine
anomal hohe und mehrtägig andauernde, kontinuierliche Grundwasserneubildung
resultiert.
Für die Witterungsphase, welche der Initialisierung des jungen Schutt- und
Erdstromes vorherging, konnte unter Berücksichtigung der Evapotranspiration
eine über zehn Tage andauernde, kontinuierliche Grundwasserneubildungrate von
0,43 mm pro Stunde errechnet werden. Dies ist die Summe von versickerndem
Schmelzwasser einer über Wochen gebildeten Schneeauflage und den
Effektivniederschlagsraten gleichzeitiger Regenniederschläge. Derartig hohe
oder noch höhere Grundwasserneubildungsraten sind bei Starkniederschlägen mit
einer nur halb- bzw. einjährigen Periodizität zwar häufig, erreichen aber
nicht die erforderliche Zeitdauer und Kontinuität.
Die umfassenden Untersuchungen der Rutschung am Kikedal, insbesondere die
Niederschlags- und Porenwasserdruck-Messungen, haben zur Entwicklung einer neuen
Methode der Prognose von Porenwasserdrucken in Abhängigkeit von den Niederschlägen
geführt. Diese stützt sich auf theoretische Ansätze, welche sich aus der
Erkundung des Grundwassereinzugsgebietes der Rutschungen am Kikedal ergeben
haben. Auf der Basis aktueller Zeitreihen (Niederschlag, Porenwasserdruck) können
Porenwasserdruckanstieg, Grundwasserneubildungsrate und die hydraulischen
Eigenschaften der Zu- und Abstrombereiche korrelliert werden (Abb. 4). Eine
regionale Prognose kritischer Witterungsverhältnisse ist zwar näherungsweise möglich,
kann aber das Verhalten einzelner Rutschungen nicht vorhersagen. Dies ist darin
begründet, daß der totale Porenwasserdruck sich aus der Addition des
unbekannten Porenwasserdruckes vor dem Anstieg und des aus der
Grundwasserneubildungsrate resultierenden PWD-Anstieges ergibt. Somit ist die
exakte Prognose kritischer, rutschungsauslösender Witterungsverhältnisse
letztlich doch lokalspezifisch und nur dann möglich, wenn PWD-Messungen
vorliegen.
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Abb. 4: Korrelationsdiagramm zur Abschätzung des
Porenwasserdruckanstieges PWDL bei variablen
Grundwasserneubildungsraten (PWDL = linearer
Porenwasserdruckanstieg (bar/h); NEF = effektiver Niederschlag (mm/h)). |
Messungen und Modellrechnungen bestätigen also, daß die Standsicherheit des
Südost-Hanges des Kikedals durch die witterungsabhängigen Wasserverhältnisse
im Boden (Wasserdruck, und -strömung, Durchfeuchtung) kontrolliert wird.
Aufgrund ähnlicher natürlicher Voraussetzungen in anderen instabilen
Hangbereichen der Malmkalk-Schichtstufe kann die Arbeitshypothese vertreten
werden, daß deren Rutschungen auf vergleichbare Wasserverhältnisse im Boden
zurückzuführen sind. So finden sich z. B. auch dort Quellen, die auf
hydraulisch durchlässige Schuttlagen an der Basis alter Rutschmassen hinweisen.
Genaue Prognosen einzelner zukünftiger Rutschungsereignisse entlang des Höhenzuges
sind naturgemäß nicht möglich. Dies wird u. a. dadurch illustriert, daß
für die Rückrechnung des initialen Geländebruchs des jungen Schutt- und
Erdstromes am Südost-Hang des Kikedals im Jahre 1988 detaillierte Kenntnisse
der Recheneingangsgrößen (Porenwasserdruck, Tiefenlage potentieller Gleitflächen,
Materialeigenschaften, etc.) erforderlich waren, welche für andere Hangbereiche
nicht ausreichend genau vorliegen. Daher kann die Wahrscheinlichkeit, daß
derartige Rutschareale zukünftig neu entstehen können, lediglich auf der Basis
der oben genannten Variation der natürlichen Voraussetzungen abgeschätzt
werden (Abb. 5). Somit liegen nun erstmals für diesen Raum konkrete
Datengrundlagen und methodische Ansätze für die Anfertigung von
Rutschungssuszeptibilitätskarten vor.
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Abb. 5: Rutschungs-Suszeptibilität am Malmkalk-Höhenzug der nordöstlichen Hilsmuldenflanke zwischen Salzhemmendorf und Brunkensen
Figure 5. Some elements of landslide susceptibilty along the Oxfordian escarpment investigated: A - Existing landslides (green=old, red=young), faults and springs (blue). B - Slope inclination. C - Landslide susceptibility (red is highest). |
Am 5. März 1999 wurde Herr Dipl.-Geol. Nils Tilch zum Dr. rer. nat.
promoviert. Seine Dissertation zum oben beschriebenen Forschungsthema wurde
folgend publiziert:
TILCH. N. , 1999, Rutschungs-Suszeptibilität im südlichen Niedersachsen. Von
der Anatomie der Rutschung bei Brunkensen/Alfeld zur Prognose instabiler
Hanglagen. Braunschweiger Geowiss. Arbeiten 22, 184 pp, 97 Abb., 22 Tab., 8
Tafeln. ISSN 0936-9562 Einzelpreis DM 49,90
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There are many unstable slopes in the hills of southern Lower Saxony. Most of
them are far from settlements and therefore they rarely endanger human lives.
Forests, roads, and other infrastructure have suffered damage, however. There is
little detailed information on these landslides, scientific investigations have
not been carried out. Intensity of land use is increasing, however, and this
creates a need for landslide susceptibility maps. Towards this aim, an improved
understanding of local and regional factors contributing to landslides and their
movement is necessary. This project concerned a multifaceted investigation of
one active landslide in the area, with an outlook towards the regional
perspectives on landslide locations and on critical weather conditions. This was
made possible by measuring precipitation and pore water pressures in situ, using
electrical piezometers installed in drillholes. The project was supported by the
Ministry of Science and Culture of Lower Saxony (1996-1998).
The investigated area (Fig. 1) is an escarpment of a length of about 30 km,
formed by west-dipping Upper Jurassic (Oxfordian) limestone. Its east-facing
slope is underlain by Middle Jurassic claystones, which are deeply weathered and
prone to sliding. Unstable parts of this slope, defined by the presence of
landslides, are mainly characterized by dips of the strata <14°, by steeper
upper slopes (>20°) and by a higher frequency of water seeps and springs.
These landslides often comprise an upper part affecting the limestones in the
form of rock slumps or rotational slides, developing downwards into debris and
earth flows. At the Kikedal hill near Brunkensen, this pattern is well developed
through several generations of landsliding Fig. 2). The youngest debris and
earth flow was initiated in 1988 and is still advancing today.
Core drilling through the debris and earth flows at Kikedal into the claystone
base resulted in the confirmation of the presence of at least two generations of
land sliding, each comprising several flow units resting on a gravelly, water
bearing sole. Near these, some of the marley clay-silt layers are sheared,
indicating movement by sliding besides pure flow. These rocks have very low
liquidity indices and are prone to loose shearing resistence when water-logged.
This explains the observed ease of reactivation of existing landslides.
In order to be able to back-calculate initiation and movement of the landslide
at Kikedal, pore water pressures and precipitation were hourly measured through
winter and spring 1997 (an electrical storm in early summer destroyed the
piezometers). The movement of the debris and earth flow was recorded over two
years by GPS, although at intervals of several months. Using a stick-slip model,
the creep of the flow can be realistically back-calculated with the measured
pore water pressure variations. Based on the same soil strength parameters it
can be shown, that even the old debris and earth flow can be reactivated easily
by a relatively small rise of pore water pressures. As we observed, drainage of
seepage channels within the flows can be blocked either by frost in the winter
(Fig. 3) or by heavy rainstorms in the summer. In the latter case, sudden flow
surges may erode material which accumulates towards necks in the flow paths.
One important aim of this project was to predict pore water pressures for
precipitation not recorded during the time of observation. Towards this purpose,
the response of pore water pressures to single rainfall events was analysed in
great detail. This showed that short dry periods between rainfalls are
sufficient to cause stagnation or decrease of pressure. The conclusion is, that
the aquifers at Kikedal have a small retention capacity. In this case,
exceptionally high rainfall measured as a sum over days or weeks may not cause
high pore water pressures if dry spells allow drainage. Effective are only those
precipitation patterns, which provide continuous high infiltration for several
days at least.
The younger and still active debris and earth flow at Kikedal was initiated on
March 27, 1988. It originated in the upper parts of the old landslide. The
weather conditions recorded in winter 1988 led to an infiltration rate of 0.43
mmh-1 for ten days before the slope failure, by adding melting snow
accumulated over weeks to concurrent rainfall. Based on our piezometer readings
in this part of the slide, the result was a total pore water pressure in the
basal sliding plane of 0.51 to 0.56 bar. Using this figure in a back-calculation
of the slide resulted in a factor of safety equal one, thus successfully
simulating the conditions causing slope failure.
This confirms the validity of our approach to predicting pore water pressures
for different precipitation patterns. It is based on measuring pore water
pressure and precipitation with high precision and at short time intervals,
necessitating automatized equipment. Similar data collection is becoming ever
more mundane in geotechnics. Analysing the resulting time series allows
understanding the properties of aquifers, calculating infiltration rates, and
pore pressure response (Fig. 4). The behaviour of slopes thus equipped will be
quite predictable if soil mechanical parameters are known. A regional forecast
of critical precipitation patterns can be produced from such data, but only
within wider uncertainty limits, as the total pore water pressure is the sum of
the pressure rise above a starting value which cannot be known without previous
measurements.
Based on the results of work at Kikedal, the following conclusions may be drawn
concerning regional landslide prediction: The localities of possible future
landslides are primarily old landslides that are especially prone to
reactivation, and other parts of the escarpment slope which show the properties
mentioned above (Fig. 5). The time incidence of future landslides depends on
precipitation patterns which lead to high and prolonged infiltration rates. This
may be linked to meteorological statistics predicting extreme rainfall events of
long duration.